Thursday, March 3, 2011

Nichts in Fribourg

O Fribourg
O kalte, graue Stadt,
bröcklig,
rissig,
schön (im Sommer?).
Die Bäume...
Wie auf dem Stadtplan: Fast alles grün.
Doch jetzt; Winter: Grau - Braun - verrostet - wettergegerbt - schwarz - karg.
Weisser Himmel; Kühlschrankwetter.
Im in a sentimental Mood.
Die Vorstellung: Hier Sommer, eine Frau (oder ein Mann), die Badeanstalt mit ihrem grünen Wasser. Die Knospen spriessen, und (grüne) Blätter rascheln in einer lauwarmen Sommerbrise.
Doch: Ich versuche die Stadt so zu sehen, wie sie jetzt ist: Kalt, Graubraun und so weiter, schöne Mädchen, die am Fenster der Creperie verübergehen, ein alter Mann repariert im Hinterhof sein Moped.
Pervers: Die Hässlichkeit dieser Stadt, und zugleich die Schönheit dieser Stadt!
Studentenstadt! Nach kurzem Aufstieg gelange ich auf das riesige Uni-Areal. Zwischenstop im Café Mondial, gleich neben der Uni, dem am Mittag gut gefüllten Studi-Lokal.

Im Café sitzen und einfach nur schauen. Die Geschäftigkeit, die Triebsamkeit der Mittagsstunden einer Universitätsstadt, die schönen jungen Leute.

Und jetzt der Frühe Nachmittag: Die Lokale habe sich geleert bis auf ein paar einsame, seltsame Gestalten, und kichernde Mütter im Café des Arcades, wo sanfte Jazzmusik gar lieb durch den hellen Raum gleitet.
Die meisten Leute gehen ihren Geschäften nach, auf der Strasse, an der Uni, selbst hier im Café.
Und welcher Geschäftigkeit gehe ich nach? Wie nennt man den Beruf des Menschen, der einfach nur da ist, und allem zuschaut?
Der Mann im Rollstuhl: Zeitung lesen, ein Salatteller, ein Bier. Würde ich dem Alkohol verfallen, in dieser Zeit-Zeit, wäre ich ihm nicht so abgeneigt? Jedes mal ein Tee – ich bestelle immer die Sorte, deren Name ich nicht verstehe – würde ich Bier oder Wein trinken, wäre die Wahl wesentlich einfacher.
Was will mir diese Zeit sagen? Monate ohne jede Arbeit. Ich schlafe ausgedehnt, und versuche mich nur auf die Zeit einzulassen: Die Zeit selbst, als etwas, das vergeht. Ich sitze einen Nachmittag lang im Zimmer und vergehe mit der Zeit. Würden andere daran zu Grunde gehen? Gehen andere daran zu Grunde? Was tun Arbeitslose? Was tun Rentner?
Ich habe darüber nachgedacht – habe die Rentner beobachtet, die bei Baustellen stehen und den Arbeiten zuschauen. Habe mich zu ihnen gesellt, und mit ihnen geschaut: Riesige Traxe trotzen den Wassermassen eines Flussbettes, graben hier und da, wie gelbe Biber bauen sie emsig ihren Damm. Man dämmt den Fluss ein, Hochwassergefahr, zu teuer für die Versicherungen.
Die Rentner haben Zeit, zuzuschauen. Ein Buchtitel: Rentner, die auf Baustellen schauen. Nun: Warum gehen sie nicht Reisen? Sind sie Reisen gegangen? Wollen sie nicht ausreissen? Was hält sie noch hier? Und ich? Eine Ausrede nach der Andern, weshalb ich es nicht tue. — Ich hätte Zeit. Ich bin gerade mal einundzwanzig und bin ein Rentner. Ich bin herumgereist... Hier, da, hoch, tief, und als ich wieder hier war... Bleiben. Das ist schwer. Jetzt bin ich hier, und habe Zeit – doch ich gehe nicht. Ich bin hier und schaue zu, wie die Zeit vergeht. Wie ein Rentner.
Mein Beruf: Frührentner.
Aus sentimentalen Gründen wurde Herr sowieso mit einundzwanzig in die Frührente geschickt, weil man einsah, dass es Menschen gibt, die nichts zu tun haben, und auch damit es jemanden gibt, der sich mit der wesentlichen Frage beschäftigen kann: Was ist die Aufgabe der Menschheit? Und nicht: Wie verdiene ich ganz schnell ganz viel Geld? Oder: Wo ist hier die Toilette?
Woher kommen sie ursprünglich? Aus der Slowakei! Die Servierdüse beantwortet die Frage eines Rentners... Vielleicht kennt sie die Stadt? Wer kennt schon eine Stadt? Ich sage: Der, der zum erstenmal da ist!
Was mache ich überhaupt hier? – Als würde es eine Rolle spielen, wo man ist, wenn die Zeit vergeht – sie vergeht ohnehin. Ich könnte genausogut nach Gerlafingen zurück.

Es bleibt nichts zu tun. Ich habe versucht, an der Universität eine Vorlesung zu besuchen. Doch ich bin an all den vergammelten, muffigen Türen dieser Fakultäten und Institute, an den bunt gestalteten Hinweisschildchen, Stundenplänen und Türnummern, den Professorentiteln, ankündigungen, und Gottesdiensten gescheitert. Angebiedert verliess ich das Institut für Geisteswissenschaften, um wieder im Mondial zu landen.

Nichtstun: Das, was noch getan werden kann, in all diesem bunten Treiben. Nichtstun: Das versteht die Gesellschaft nicht. Müssen erst alle Rentner werden, damit sie eine leise Ahnung davon kriegen?
Ich gründe die Universität des Nichtstuns, wo die Studenten hier im Mondial sitzen, und schauen wie die Zeit vergeht. Wo die Schüler sich selbst, und ihrem Leben zuschauen, und nicht nur einem Teil davon. Keine Spezialisierung, keine Weiterbildung, ein Tee vielleicht oder eine Chocolat Viennois, doch die Zeit ist ohnehin da. Egal was sie tun.

Je beschäftigter die Leute sind, desto weniger verstehen sie mich. Ich schaue ihnen zu. Gerne.

Irgendwann habe ich genug, zahle brav, gehe, und schlage den Weg Richtung Bahnhof ein. Am Ende bricht doch noch die Sonne durch den Kühlschrank und hinterlässt das schöne Bild gleissend hellen Asphalts im Winterlicht in meiner Erinnerung. Die Erinnerung an eine Stadt, die zwar ihrem olfaktorischen Ruf alle Ehren macht, aber in diesen kalten Wintertagen eine spürbar schlummernde Schönheit in sich trägt, metaphorisch gesprochen einer geschlossenen Blüte ähnelt. Bald wird Frühling.

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